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Angekündigte Katastrophe

Folgender Artikel ist im «Moneta» Nr. 3 vom 15. September 2011 erschienen: 


Von Rosmarie Bär | rosmarie.baer@bluewin.ch 
Der Boden, auf dem der Hunger wächst

ANGEKÜNDIGTE KATASTROPHE __Das Horn von Afrika galt einst als Kornkammer des Kontinents. Heute schleppen sich dort Hunderttausende von Hungernden in überfüllte Flüchtlingslager. Oft haben sie tagelange Märsche hinter sich, viele sterben unterwegs an Unterernährung, Durst und Erschöpfung. Über zwölf Millionen Menschen sind in Somalia, Äthiopien und Kenia von der schlimmsten Dürre seit sechzig Jahren betroffen.


//__Rund um die Welt rufen Hilfswerke zu Spenden auf, Künstlerinnen und Künstler organisieren Benefizkonzerte, Schulklassen sammeln – Hilfe, wie wir sie seit 25 Jahren kennen, denn die Hungertragödie in Ostafrika wiederholt sich. Bereits 1986 kam es zur Katastrophe in Äthiopien. Eine Million Menschen verhungerten. Die langfristigere Reaktion darauf war die Gründung eines internationalen Frühwarnsystems (Fews Net), es betreibt «agroklimatisches Monitoring», um Hungersnöte verhindern zu können. So kam die aktuelle Tragödie keineswegs über Nacht. Das Früh-warnsystem hatte bereits vor drei Jahren gemeldet, dass es in Ostafrika schlecht aussehe und der bewaffnete Konflikt in Somalia die Lage noch verschärfe. Die Welternährungs-Organisation der Uno (FAO), Agrarexpertinnen und -experten sowie Entwicklungs-Organisationen schlugen schon damals Alarm. Doch der Aufruf verhallte bei Regierungen und der internationalen Politik praktisch ungehört. Geld für das Welternährungsprogramm, um rechtzeitig genügend Lebensmittel in die Region bringen zu können, floss und fliesst äusserst spärlich. Die Hungerkatastrophe ist ein Skandal von gestern, nicht von heute.


HUNGER – EINE CHRONISCHE KATASTROPHE
«Innerhalb eines Jahrzehnts muss kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen, keine Familie mehr um das tägliche Brot für den nächsten Tag zittern und kein Mensch mehr seine Zukunft und seine Fähigkeiten wegen Unterernährung verkümmern sehen.» So lautete das hehre Versprechen, das die Staatengemein-schaft am Welternährungsgipfel von 1974 geleistet hatte – ein leeres Versprechen, wie wir heute wissen. Die Investitionen in die ländliche Entwicklung und die kleinbäuerliche Landwirtschaft wurden in den Achtziger- und Neunzigerjahren überall zurückgefahren.

Entsprechend bescheidener gab man sich am Welternährungsgipfel von 1996 in Rom: Bis 2015 müsse die Zahl der hungernden Menschen weltweit halbiert sein. Ein Aktionsplan sollte es richten. Doch der politische Wille zur Umsetzung fehlte einmal mehr. Am Uno-Millenniumsgipfel wurde das «Rom-Ziel» bestätigt und erweitert: Die Zahl der Menschen, die in grösster Armut leben, die hungern und keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, solle bis 2015 im Vergleich zu 1990 halbiert werden.

Fakt ist: Rund eine Milliarde Menschen leiden heute an chronischer Unterernährung und Hunger. 900'000 haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Alle fünf Sekunden stirbt weltweit ein Kind an den Folgen der Mängel. Der Hunger wird von Konferenz zu Konferenz politisch «verwaltet». Dass ein Siebtel der Weltbevölkerung hungert, gehört längst zum «aushaltbaren» beziehungsweise zum tolerierten Bestandteil der Realität.

Welthungerindex 2010 nach Schweregrad.
(Click auf Bild vergrössert Ansicht)

Zweifellos sind die Klimaveränderung mit ihren Folgen, bewaffnete Konflikte, eine wachsende Bevölkerung und korrupte Regierungen Hungertreiber. Nun kommt eine neue Hunger-Plage dazu, die sich in schwindelerregendem Tempo ausbreitet: der internationale Run auf fruchtbaren Boden, eine moderne Form von Landraub. Grain, eine Nichtregierungs-Organisation, hat dafür den Begriff «Land- Grabbing» geprägt. Offiziell heisst das Business «ausländische Direkt-Investitionen in die Landwirtschaft». Laut der Weltbankstudie «Rising Global Interest in Farmland» wurden vor 2008 fünf Millionen Hektar Ackerland verkauft. 2009 wechselten bereits 56 Millionen Hektaren den Besitzer – ein Vorgang, der vom scheidenden Direktor der FAO als Neokolonialismus gegeisselt wurde.

Immer mehr Schwellenländer und Ölstaaten investieren in ausländische Landflächen, weil ihnen zu Hause der Boden zur Ernährung der eigenen Bevölkerung fehlt. China, Indien, Saudi-Arabien, Südkorea und die Golfstaaten zum Beispiel sichern sich Land in den armen Ländern des Südens, betreiben «Offshore-Landwirtschaft» und decken so ihren Bedarf an Nahrungsmitteln und Energie-pflanzen. Afrika steht dabei zuoberst auf der Einkaufsliste. Die Gier frisst sich richtiggehend durch den afrikanischen Kontinent.


DER NEUE HUNGER NACH LAND
Seit der geplatzten Immobilienblase in den USA und der Finanzkrise ist Ackerland auch ins Visier von Banken, Investment- und Agrarfonds, von Finanzinstituten, Hedgefonds und multinationalen Konzernen geraten. Landinvestitionen gelten als sicher und versprechen hohe Renditen. Weltbank und OECD dokumentierten letztes Jahr die bedeutende Rolle des Finanzsektors beim Run auf Land. Allein der African Agricultural Land Fund mit Sitz in England hat in den letzten vier Jahren mehr als 150'000 Hektaren in 15 Staaten im südlichen Afrika unter seine Kontrolle gebracht. Als «lukrative Anlage» pries die «NZZ am Sonntag» (26.9.2010) den Landkauf: «Die Renditen dürften nachhaltig sein, denn fruchtbares Ackerland wird weltweit ein immer knapperes Gut.»


SCHWACHE REGIERUNGEN – STARKE INVESTOREN
In den meisten Ländern werden die Investoren von der Regierung willkommen geheissen oder gar angelockt. Zu den beliebtesten Anlageländern gehören jene mit schwachem oder fehlendem Rechtssystem. Die Verträge werden über die Köpfe der Bevölkerung hinweg abgeschlossen. Die Konditionen bleiben geheim. Die Bäuerinnen und Bauern erfahren oft erst vom Deal, wenn um ihr Land ein Zaun gezogen wird oder Maschinen auffahren. US-Investor Philippe Heilberg sagte es unverhohlen: «Wenn Nahrung knapp wird, dann braucht der Investor einen schwachen Staat, der ihm keine Regeln aufzwingt.» Je mehr Hunger, desto grösser die Gewinne, so das menschenverachtende Kalkül.

Am meisten Land geht dort in fremde Hände, wo es am meisten Hungernde gibt. Drei Beispiele: In Mali erhielt der libysche Staatsfonds Malibya für mindestens fünfzig Jahre 100'000 Hektaren Land, von denen sich bis anhin 75'000 Menschen ernährten. Malibya wird dort Fleisch und Reis für den Export produzieren. Er darf unbegrenzt Wasser aus dem Nigerfluss entnehmen und einen Bewässerungskanal bauen. Die umliegenden Dörfer werden von der Wasserversorgung abgeschnitten, wodurch die Felder der Bauernfamilien immer mehr vertrocknen. «Land-Grabbing» ist auch «Water-Grabbing».

Im Hungerland Äthiopien baut ein holländischer Investor im grossen Stil Gemüse für Fünf-Sterne-Hotels in Dubai, Katar, Bahrain und Saudi-Arabien an. Vorbei an hungernden Menschen wird die Ernte ausser Landes gebracht. Um Anbaufläche für Agrotreibstoffe zu gewinnen, wurde Regenwald zerstört. Auch Kenia, das auf Nahrungsmittelhilfe für seine Bevölkerung angewiesen ist, bietet Hand für den Ausverkauf seines Bodens. So darf der Golfstaat Katar im fruchtbaren Tana-Delta 40'000 Hektaren für Obst- und Gemüseplantagen pachten. Als Gegenleistung soll an der kenianischen Küste eine Hafenanlage gebaut werden. 200'000 kleinbäuerliche Familien verlieren bei diesem Handel ihre Lebensgrundlage. Das Schicksal der enteigneten Bauernfamilien sieht überall gleich aus: Vertreibung, Hunger und Not. Endstation sind die Elendsviertel der urbanen Zentren. Deren sozialer und politischer Sprengstoff wird nach wie vor unterschätzt oder ignoriert. Immer noch schützen bilaterale Investitionsschutz-Abkommen mit Entwicklungsländern einseitig die Interessen der Multis. Die Schweiz hat mit 94 Entwicklungsländern solche Abkommen abgeschlossen. Sie müssten zwingend Menschenrechts- und Umweltstandards enthalten und die Ernährungssicherheit der Bevölkerung garantieren. Das wäre aktive Hungerbekämpfung.


BANKEN AUF ABWEGEN
Nebst Privatbanken steigen auch Entwicklungsbanken in das Fondsgeschäft ein. So hat die Weltbanktochter International Finance Corporation 75 Millionen Dollar in einen Agrarfonds des britischen Hedgefonds-Betreibers Altima Partners investiert. …


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Die Autorin Rosemarie Bär ist ehemalige Nationalrätin und arbeitete während 15 Jahren als Koordinatorin für Entwicklungspolitik bei Alliance Sud. Sie ist langjähriges Mitglied des Schweizerischen FAO-Komitees für Ernährungssicherheit und der beratenden Kommission des Bundesrates für internationale Entwicklungszusammenarbeit. 









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