Von Rosmarie Bär | rosmarie.baer@bluewin.ch
Entsprechend bescheidener gab man sich am Welternährungsgipfel von 1996 in Rom: Bis 2015 müsse die Zahl der hungernden Menschen weltweit halbiert sein. Ein Aktionsplan sollte es richten. Doch der politische Wille zur Umsetzung fehlte einmal mehr. Am Uno-Millenniumsgipfel wurde das «Rom-Ziel» bestätigt und erweitert: Die Zahl der Menschen, die in grösster Armut leben, die hungern und keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, solle bis 2015 im Vergleich zu 1990 halbiert werden.
Fakt ist: Rund eine Milliarde Menschen leiden heute an chronischer Unterernährung und Hunger. 900'000 haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Alle fünf Sekunden stirbt weltweit ein Kind an den Folgen der Mängel. Der Hunger wird von Konferenz zu Konferenz politisch «verwaltet». Dass ein Siebtel der Weltbevölkerung hungert, gehört längst zum «aushaltbaren» beziehungsweise zum tolerierten Bestandteil der Realität.
Welthungerindex 2010 nach Schweregrad.
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Immer mehr Schwellenländer und Ölstaaten investieren in ausländische Landflächen, weil ihnen zu Hause der Boden zur Ernährung der eigenen Bevölkerung fehlt. China, Indien, Saudi-Arabien, Südkorea und die Golfstaaten zum Beispiel sichern sich Land in den armen Ländern des Südens, betreiben «Offshore-Landwirtschaft» und decken so ihren Bedarf an Nahrungsmitteln und Energie-pflanzen. Afrika steht dabei zuoberst auf der Einkaufsliste. Die Gier frisst sich richtiggehend durch den afrikanischen Kontinent.
SCHWACHE REGIERUNGEN – STARKE INVESTOREN
In den meisten Ländern werden die Investoren von der Regierung willkommen geheissen oder gar angelockt. Zu den beliebtesten Anlageländern gehören jene mit schwachem oder fehlendem Rechtssystem. Die Verträge werden über die Köpfe der Bevölkerung hinweg abgeschlossen. Die Konditionen bleiben geheim. Die Bäuerinnen und Bauern erfahren oft erst vom Deal, wenn um ihr Land ein Zaun gezogen wird oder Maschinen auffahren. US-Investor Philippe Heilberg sagte es unverhohlen: «Wenn Nahrung knapp wird, dann braucht der Investor einen schwachen Staat, der ihm keine Regeln aufzwingt.» Je mehr Hunger, desto grösser die Gewinne, so das menschenverachtende Kalkül.
Am meisten Land geht dort in fremde Hände, wo es am meisten Hungernde gibt. Drei Beispiele: In Mali erhielt der libysche Staatsfonds Malibya für mindestens fünfzig Jahre 100'000 Hektaren Land, von denen sich bis anhin 75'000 Menschen ernährten. Malibya wird dort Fleisch und Reis für den Export produzieren. Er darf unbegrenzt Wasser aus dem Nigerfluss entnehmen und einen Bewässerungskanal bauen. Die umliegenden Dörfer werden von der Wasserversorgung abgeschnitten, wodurch die Felder der Bauernfamilien immer mehr vertrocknen. «Land-Grabbing» ist auch «Water-Grabbing».
Im Hungerland Äthiopien baut ein holländischer Investor im grossen Stil Gemüse für Fünf-Sterne-Hotels in Dubai, Katar, Bahrain und Saudi-Arabien an. Vorbei an hungernden Menschen wird die Ernte ausser Landes gebracht. Um Anbaufläche für Agrotreibstoffe zu gewinnen, wurde Regenwald zerstört. Auch Kenia, das auf Nahrungsmittelhilfe für seine Bevölkerung angewiesen ist, bietet Hand für den Ausverkauf seines Bodens. So darf der Golfstaat Katar im fruchtbaren Tana-Delta 40'000 Hektaren für Obst- und Gemüseplantagen pachten. Als Gegenleistung soll an der kenianischen Küste eine Hafenanlage gebaut werden. 200'000 kleinbäuerliche Familien verlieren bei diesem Handel ihre Lebensgrundlage. Das Schicksal der enteigneten Bauernfamilien sieht überall gleich aus: Vertreibung, Hunger und Not. Endstation sind die Elendsviertel der urbanen Zentren. Deren sozialer und politischer Sprengstoff wird nach wie vor unterschätzt oder ignoriert. Immer noch schützen bilaterale Investitionsschutz-Abkommen mit Entwicklungsländern einseitig die Interessen der Multis. Die Schweiz hat mit 94 Entwicklungsländern solche Abkommen abgeschlossen. Sie müssten zwingend Menschenrechts- und Umweltstandards enthalten und die Ernährungssicherheit der Bevölkerung garantieren. Das wäre aktive Hungerbekämpfung.
Nebst Privatbanken steigen auch Entwicklungsbanken in das Fondsgeschäft ein. So hat die Weltbanktochter International Finance Corporation 75 Millionen Dollar in einen Agrarfonds des britischen Hedgefonds-Betreibers Altima Partners investiert. …
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Die Autorin Rosemarie Bär ist ehemalige Nationalrätin und arbeitete während 15 Jahren als Koordinatorin für Entwicklungspolitik bei Alliance Sud. Sie ist langjähriges Mitglied des Schweizerischen FAO-Komitees für Ernährungssicherheit und der beratenden Kommission des Bundesrates für internationale Entwicklungszusammenarbeit.